Wenn Menschen von sich und ihrem Leben erzählen, dann tun sie das in Form von Szenen. Beim Zuhören entsteht ein Film vor Augen – manche sprechen vom „Kopfkino“. Es geht darum wer, was, wann, wo und vor allem auf welche Art und Weise getan hat und was die Beteiligten dabei erlebt bzw. gefühlt haben. Sieht man sich diese Geschichten genauer an, lassen sich unterschiedliche Szenen auf unterschiedlichen Bühnen finden. Die Bühne bildet den Rahmen, auf der die Szene stattfindet – so darf bzw. wird jeder, der auf der Bühne steht, eine gewisse Rolle spielen. Jede Szene hat ihre einzigartige Handlung – damit verwoben sind unsere Empfindungen, Bedürfnisse, Gefühle und Gedanken.
Über Szenen zu erzählen ist das eine – sie zu spielen und im Hier und Jetzt wieder „lebendig“ werden zu lassen das andere. Denn unser Leben findet auf unseren Bühnen statt – wir stehen aktiv auf „den Brettern, die Welt bedeuten“. Das Psychodrama als erlebnisorientierte Psychotherapiemethode bietet beides: das reflektierende Gespräch über Szenen, aber vor allem auch das Eintauchen ins unmittelbare Erleben auf der psychodramatischen Bühne.
„Ich fühl mich heute sehr gut. Ich bin am Morgen aufgestanden und habe mit meiner Freundin und meinem kleinen Sohn gefrühstückt. Ich schätze diese Zeit am Morgen sehr, in der wir zu dritt am Tisch sitzen und mein Sohn mit mir plappert. Danach bin ich zur Arbeit in die Autowerkstatt gefahren, mir ist mal wieder klar geworden, wie gern ich diese Arbeit mag. Schon früher habe ich manchmal mit meinem Papa gemeinsam in der Werkstatt an seinem Oldtimer-Cabriolet geschraubt. Immer wenn wir fertig waren, haben wir uns eine kleine Spritztour gegönnt. Im Alltag haben wir nie viel miteinander gesprochen, weil mein Vater immer sehr streng war und ich ihm grundsätzlich aus dem Weg gegangen bin. Im Cabriolet konnten wir jedoch gemeinsam über Gott und die Welt reden – wie zwei alte Freunde. Verrückt, dass ich mich jetzt daran erinnere.“
Verschiedene Bühnen, verschiedene Szenen
In der kurzen Erzählung betritt ein männlicher Hauptdarsteller (Protagonist), nennen wir ihn Franz, mehrere Bühnen und erzählt eine Sequenz von Szenen. Die Reise beginnt mit einer Szene auf der gegenwärtigen, familiären Bühne, auf der er die väterliche Rolle als Papa einnimmt. Mit dabei sind seine Frau und sein Sohn und alle scheinen die Szene sehr zu genießen: Es wird geplappert und gescherzt, die Stimmung scheint gelöst und ausgelassen. Vielleicht steht am Tisch frisches Gebäck und der Kaffee duftet herrlich?
„…plötzlich beginnt die Reise auf eine längst vergangene Bühne…“
Kurz danach folgt ein Wechsel auf die berufliche Bühne: Hier ist Franz als Automechaniker im Einsatz. Ihm wird beim Erzählen bewusst, wie gerne er seinen Job eigentlich macht. Die Arbeit in der Werkstatt an den Motoren mit den Kolleg*innen scheint ihm Spaß zu machen und ihn zu erfüllen. Kennt er dieses Gefühl aus einer anderen Szene? Wahrscheinlich, denn plötzlich beginnt die Reise auf eine längst vergangene Bühne, auf der er selbst der Sohn seines Vaters ist. In dieser Szene schraubt er gemeinsam mit seinem Papa an einem Oldtimer (man kann das Werkzeug fast klimpern hören) und sie genießen das Resultat ihrer Arbeit. Die beiden lassen sich den Fahrtwind durch das Haar wirbeln und halten gemeinsam ein Schwätzchen. Auf einmal schleicht sich ein anderes Gefühl ein, denn Franz scheint auch noch etwas Gegensätzliches zu spüren – es gab viele Szenen, in denen es nicht so leicht für ihn war seinem alten Herrn nahe zu sein. Oft ging er ihm aus Angst lieber aus dem Weg.
Szenische Spurensuche
In der Praxis begegnen mir häufig Aussagen wie „Ich habe immer so viel Angst!“. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass niemand ausschließlich ängstlich ist. Es sind eben meist bestimmte Szenen, in denen wir ein vertrautes Gefühl (wie die Angst) besonders häufig spüren und vielleicht wahrnehmen können.
Gibt es ein Gefühl, dass Sie derzeit stark spüren? Vielleicht können Sie es direkt benennen, vielleicht ist es auch nur ein dumpfes Ziehen in der Magengegend? Falls ja, dann wäre womöglich eine erste, szenische Spurensuche ein guter Einstieg. Finden Sie eine Szene, in der dieses Gefühl besonders häufig und stark auftritt und versuchen Sie dabei so konkret und anschaulich wie möglich zu sein. Vergessen Sie dabei nicht auf die scheinbar unwichtigen Details, z.B. ihre sinnlichen Wahrnehmungen – wie hat es dort gerochen, ausgesehen, was konnte man hören, wie hat es sich angefühlt?
„…wie hat es dort gerochen, ausgesehen, was konnte man hören, wie hat es sich angespürt?“
Wenn sie damit fertig sind, lohnt es sich die Gegenprobe zu machen: Es wird sich sicher auch die eine oder andere Szene finden lassen, in der Sie (wenigstens ein wenig) das gegenteilige Gefühl spüren konnten. Zum Beispiel eine, in der Sie sich ruhig und vertraut gefühlt haben.
Im Psychodrama gibt es viele Möglichkeiten verschiedene Gefühle und Empfindungen in Szene zu setzen. Und sollte sich einmal keine passende Szene finden lassen, eignet sich der therapeutische Rahmen eine entsprechend zu gestalten. So ergibt sich nicht nur die Möglichkeit über Vergangenes und Generelles im Gespräch zu reden, sondern Konkretes und Gegenwärtiges in der Szene auf der Bühne zu erleben.