Waren Sie heuer schon am Meer? So ein Kurztrip bewirkt oft Wunder: Mit dem weiten Horizont und der kühlen Brise kommt die Entspannung. Früh aufstehen, vor allen anderen am Strand mit Blick auf das Wasser, durchatmen. Die Sehnsucht nach Wasser, Weite und Frische begleitet viele vom ersten bis zum letzten Atemzug – also das ganze Leben. Der Atem ist Ausdruck des Lebendigen, er spannt einen Bogen zwischen dem ersten Luftschnappen bis zum letzten Lebenshauch. Dazwischen ist er eine Grundfeste aller Lebens- und Gefühlslagen: vom ruhigen Schnaufen beim Relaxen am Meer bis zum hektischen Keuchen bei Panik in der Schule oder im Büro. Sich mit ihm zu beschäftigen und eine gute Beziehung zu pflegen zahlt sich aus. Es ist eine Alltagserfahrung, dass es guttut „Luft zu holen“, „den längeren Atem zu haben“ oder einmal „richtig Dampf abzulassen“. Die Verbindung zwischen Entspannung, Anspannung und dem Atem ist fest in unserem Sprachgebrauch verwurzelt. In diesem Blogbeitrag versucht Hauptdarstellerin Ingrid ihre große Angst durch ihre Atmung zu verändern. Aber auch wenn Sie persönlich keine starken Ängste haben, können Sie die Atemübungen für sich nutzen: gegen Stress und zur Entspannung. Probieren Sie es aus!
Ingrid hat in Situationen Angst, die sie schwer überblickt. Besonders schlimm ist es im Bus oder der S-Bahn: Dort sind viele fremde Menschen, die sie nicht einschätzen kann. In der Psychotherapie erwähnt sie eine heikle Busfahrt und nur der Gedanke daran macht sie nervös:
„Ich hatte keine Wahl: Den Termin am Arbeitsmarktservice habe ich einfach wahrnehmen müssen. Den ersten Bus habe ich vorbeifahren lassen, er war einfach zu voll. Mit den Gedanken: „Reiß dich zusammen! Da musst du durch!“, habe ich dann den zweiten genommen. Natürlich habe ich keinen Sitzplatz bekommen und habe stehen müssen. Mit der einen Hand habe ich mich an den Haltegriff geklammert, mit der zweiten habe ich fest meine Tasche an mich gedrückt. Zuerst ist es eigentlich ganz gut gegangen! Allerdings nur bis zu dem Zeitpunkt als ich den Typ neben mir bemerkt habe. Ich hatte das Gefühl, dass der ständig zu mir rüber schaut. Plötzlich hat mein Herz bis zum Hals geklopft und mir wurde gleichzeitig heiß und kalt. Meine Knie wurden weich und ich habe geglaubt, dass mir jemand den Boden unter den Füßen wegzieht. Dann haben die gemeinen Gedanken angefangen: „Wenn ich jetzt umfalle, starren mich alle an! Ich werde vor Scham sterben!“ Ich habe es einfach nicht ausgehalten und bin bei der nächsten Haltestelle aus dem Bus gerannt. Zu Fuß bin ich viel zu spät zu meinem Termin gekommen. Ich habe mich so geschämt!“
Während Ingrid erzählt, sitzt sie starr im Sessel, eine Hand verkrampft nach oben gestreckt. Es scheint, als würde sie den Griff noch immer fest umklammern. Ihre Augen sind weit aufgerissen, ihr Mund steht offen, kalter Schweiß steht ihr auf der Stirn. Das Einzige, was sich bewegt: ihr Brustkorb. Der hat es eilig, hebt und senkt sich wie Wellen im Sturm. Ingrid atmet in kurzen, hastigen Zügen und ringt trotzdem nach Luft. Die Angst sitzt nicht nur in ihrem Kopf, sondern in ihrem ganzen Körper – auch in ihrer Atmung. Wie kann Sie wieder Sicherheit und Entspannung finden? Eine Möglichkeit ist, sich in der Vorstellung einen sicheren Ort zu schaffen – hier findet auch der Atem Ruhe und Geborgenheit. Eine andere Möglichkeit ist, sich mit dem Atem direkt zu beschäftigen. Die folgenden drei Übungen könnten (nicht nur) Ingrid helfen, sich gemeinsam mit dem Atem zu entspannen.
Brust locker, Bauch heraus: die Bauch-Atmung
Ingrids Brustkorb macht die ganze Arbeit: eilig aber flach saugt er Luft in Ingrids Lunge. Diese „Brust-Atmung“ ist mit Stress und Anstrengung verbunden: Obwohl Ingrid viele Atemzüge macht, bekommt sie nur wenig frischen Sauerstoff. Damit Ingrid Ihre Brust-Atmung wahrnehmen kann, bitte ich sie ihre linke Hand auf das Brustbein, die rechte Hand auf Ihren Bauch zu legen. Sie bemerkt das starke Heben und Senken ihrer linken Hand sofort.
„Ihr Burstkorb macht Urlaub am Meer, jetzt ist ihr Bauch an der Reihe!“
Bei der ersten Übung leite ich Ingrid an tiefer und ruhiger aus dem Bauch bzw. Zwerchfell zu atmen. Je entspannter sie atmet, desto stärker bewegt sich ihre rechte Hand. Ihr Brustkorb macht Urlaub am Meer, jetzt ist ihr Bauch an der Reihe! Dadurch gelangt mehr Luft in ihre Lunge, die sich so richtig im Bauch ausdehnen kann. Ingrid merkt die geringere Anstrengung und die längeren Pausen zwischen den Atemzügen. Die Atemfrequenz verringert und der gesamte Körper entspannt sich. Das sind gute Voraussetzungen um die Starre gegen Lockerheit einzutauschen.
Laaanges Ausatmen: die 2-4-Atmung
Ingrid atmet nicht nur schnell und flüchtig – sie versucht zudem durch langes und häufiges Einatmen mehr Sauerstoff zu bekommen. Diese „Schnapp-Atmung“ verstärkt ihren Angst- und Panikmodus, Stress macht sich breit. In der zweiten Übung versuche ich gemeinsam mit Ingrid ihre Konzentration auf längeres Ausatmen zu richten. Dazu steht sie wieder bequem und atmet einige Minuten in der Bauch-Atmung. Dann bitte ich sie für zwei Sekunden durch die Nase einzuatmen, um dann für vier Sekunden aus dem Mund auszuatmen. Das wiederholt sie, bis ein natürlicher Rhythmus aus kürzerem Einatmen und längerem Ausatmen entsteht. Jetzt atmet sie die verbrauchte Luft vollständig aus und kann frische Luft gut aufnehmen. Zusätzlich sinken ihr Puls und Blutdruck – die reduzieren sich automatisch beim Ausatmen.
Pause für Zappelphilipp: die Kreis-Atmung
Mit der Angst kommen die richtig fiesen Gedanken. Wie Zappelphilipp springen Sie hin und her, erzählen Ingrid von ihren schlimmsten Alpträumen. Atemübungen eignen sich gut, die Aufmerksamkeit von belastenden Gedanken wegzulenken. Der panische Philipp in Ingrids Kopf braucht einfach eine andere Beschäftigung! Bei der Bauch-Atmung beobachtet er immerhin schon die Atmung, bei der 2-4-Atmung achtet er sogar auf den korrekten Rhythmus. Vielleicht reicht das noch nicht und wir sollten ihm noch eine Aufgabe geben. In der dritten Übung verpackt Ingrid ihren Atem in eine Vorstellung, und zwar in Form eines Kreises. Ingrid beginnt mit der 2-4-Atmung und zeichnet zusätzlich vor ihrem geistigen Auge einen Kreis: Zuerst einen ersten Halbkreis von unten nach oben beim Einatmen, dann einen zweiten von oben nach unten beim Ausatmen. Dann wiederholt sie das Ganze bis sie wieder in einen ruhigen Rhythmus findet. Ingrids Konzentration liegt so ganz bei ihrem Atem und Zappelphilipp ist beschäftigt: Er malt zufrieden Kreise in den Sand.
„Zappelphilipp ist beschäftigt: Er malt zufrieden Kreise in den Sand.“
Vielleicht helfen Ihnen diese Atemübungen dabei Entspannung zu finden. Wichtig ist, dass Sie sich und den Übungen etwas Zeit geben. Trainieren Sie regelmäßig jede Technik für mindestens fünf Minuten – am besten täglich. Beginnen Sie damit in angenehmer Atmosphäre, um sie dann in angespannten Situationen anwenden zu können. Achten sie nach jeder Übung darauf, was sich spürbar in Ihnen verändert. Das können körperliche Empfindungen, Gefühle oder Gedanken sein. Probieren Sie aus, was Ihnen guttut und experimentieren Sie: Machen Sie Geräusche, schneiden Sie Grimassen oder bewegen Sie sich! Sie brauchen wirklich nicht bis zum nächsten Urlaub zu warten, um sich zu entspannen und besser zu fühlen!
Zum gratis Download einfach auf die Grafik klicken!
Zum Weiterlesen:
Sweeton, J. (2019). Trauma treatment toolbox: 165 Brain-changing tips, tools & handouts to move therapy forward. Winsconsin: PESI Publishing & Media.
Rost, C., & Overkamp, B. (2018). Selbsthilfe bei posttraumatischen Symptomen: Übungen für Körper, Geist und Seele. Paderborn: Junfermann.