„Wie legt man sich ein ordentliches Burnout zu, falls man eines haben möchte?“ frage ich Hans, ca. 45 Jahre alt, Vater einer fünfköpfigen Familie und im höheren Management tätig. Hans kennt sich aus mit Erschöpfung: Er hat in den letzten Monaten täglich so viele Aufgaben übernommen als hätte sein Tag 48 Stunden. Am Abend ist er komplett erledigt und kann trotzdem nur schlecht einschlafen. Er liegt im Bett und denkt darüber nach, was er heute falsch gemacht hat und wie er alles hätte besser machen können. Meist wacht er mit den gleichen Gedanken früh am Morgen auf – Erholung null, Überforderung pur. Selbstfürsorge ist in Hans Alltag wenig zu finden. Im Gespräch plaudern wir über Finn – das ist der Sohn von Hans, der gerade drei Jahre alt geworden ist. „Ist Finn auch manchmal überfordert?“ frage ich Hans. „Ja, schon. Der wird richtig quengelig, ungenießbar und gereizt. Dann hilft es nur noch ihn ins Bett zu legen, um ihm etwas Ruhe zu ermöglichen.“ Diese Szene möchte ich etwas genauer von Hans hören – aber nicht aus seiner Perspektive – ich bitte ihn sich vorzustellen Finn zu sein, wenn er überfordert ist und seine Eltern ihn in sein Bettchen bringen. Er soll also so tun als wäre er Finn (im Psychodrama nennt man das einen „Rollenwechsel“). Hans spielt Finn in der folgenden Szene.
Ich bin Finn und 3 Jahre alt. Ich habe gerade mit meiner Mama und meinem Papa einen langen Spaziergang gemacht. Zum ersten Mal habe ich so ein kleines bewegtes Ding draußen gesehen – Papa hat immer „Wauwau“ gerufen. Ich habe so viel gesehen und gehört, es wird mir jetzt fast ein bisschen zu viel. Ich weiß nicht was mit mir passiert, das ist ganz ungut! Super, dass Mama und Papa da sind und mein Bett auf mich wartet. Papa hat es für mich aufgestellt und ein großes, schneeweißes Schaffell hineingelegt. Bevor er mich hingelegt hat, hat meine Mama den Kopfpolster noch einmal aufgeschüttelt und zurechtgerichtet. Jetzt zieht sie mir noch die Decke über meinen kalten Bauch. So schlafe ich gleich ein und träume von dem lieben aber bisschen unheimlichen Felldings, das fast die gleichen Laute wie Papa macht. Mhmmm, ist das kuschelig!
Hans ist berührt – so hat er diese Szene noch nie wahrgenommen. Für ihn selbst ist diese Situation meist eben stressig (er fühlt sich unbeholfen und unfähig als Vater), jetzt empfindet er sie sehr entspannt und sich selbst sehr wirksam. Eine angenehm beruhigte Atmosphäre hat sich auch zwischen uns in der Praxis breit gemacht. Gemeinsam explorieren wir was da passiert – welche Qualitäten hat diese Szene und die darin enthaltenen Symbole des Betts, Polsters und der Decke?
Bedingungsloses Halten und Annehmen
Das Bett ist kuschelig, gleichzeitig trägt und stützt es Finn. Es bietet uneingeschränkte Stabilität und Sicherheit, nimmt Finns Gewicht spielend leicht auf. Es ist immer da, wenn er müde ist und es bleibt da bis er wieder aufwacht. Auch wenn Finn in der Nacht aufwacht, spürt er die Verlässlichkeit des Betts. Wer wünscht sich nicht so einen väterlichen Bewacher und Beschützer?
„Finn kennt Geborgenheit, ohne den Begriff je gehört zu haben.“
Der Polster ist weich und wärmt das Gesicht. Finn kennt Geborgenheit, ohne den Begriff je gehört zu haben. Der Polster gibt auch einmal nach, er lässt sich zu jeder Seite stopfen. Er ist nicht zu weich, aber auch nicht zu hart – er meint es gut mit Finn. Es ist schön mit so viel mütterlicher Liebe angenommen zu sein.
Die Decke macht das Bild rund und ganz. Sie ist einfach da, sie tröstet und beruhigt Finn. Wenn er möchte kann er sich darunter gut verstecken. Er bekommt alles, was er braucht. Wie ein Küken im Nest liegt er da – mit der einzigen Aufgabe sich zu entspannen, loszulassen, ruhig zu werden. Finn fühlt sich beschützt und behütet.
Sich Nestwärme gönnen
Für seinen Sohn kann Hans sehr fürsorglich sein, das weiß Hans jetzt. Da ist kein „Jetzt reiß dich doch mal zusammen!“ „Das musst du jetzt aushalten.“ oder „Es passiert was, wenn du dich zu sehr gehen lässt!“ Sätze aus Szenen, die er selbst aus seiner Gegenwart und Vergangenheit nur zu gut kennt. Diese Szene wollen gesehen und gehört werden – eine Sache, der wir uns in der Psychotherapie widmen. Es geht aber auch darum, dass Hans lernt für sich selbst elterliche Fürsorge zu übernehmen. Ob es ihm gelingt mehr Selbstfürsorge zu entwickeln? Das Bett könnte doch auch für ihn ein Erholungsort sein, wenn seine Welt wieder einmal fordernd war. Hier könnte Hans damit beginnen fürsorglich, verlässlich, liebevoll und wohlwollend mit sich umgehen.
„Dazu ist man nie zu erwachsen und bleibt immer etwas Kind.“
Ich schlage Hans deshalb vor diese elterlichen Qualitäten auch für sich zu spüren – und zwar täglich. Im Bett lässt sich das gut machen: Hinlegen, reinkuscheln und die Qualitäten des Betts, des Polsters und der Decke genießen und in sich aufnehmen. „Ich soll also das Kuscheln im Bett üben?“ fragt Hans leicht amüsiert? Genau darum geht es – sich selbst fürsorglich zu begegnen. Dazu ist man nie zu erwachsen und bleibt immer etwas Kind.
Täte Ihnen auch etwas Selbstfürsorge gut? Dann ist die „Kuschelübung“ von Dr. Manfred Stelzig genau das Richtige für Sie! Vielleicht suchen Sie ja noch ein Weihnachtsgeschenk für sich – dann schauen Sie doch diesmal meinen Literaturtipp besonders genau an!
Ich wünsche Ihnen und Ihren Liebsten frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr!
Zum Weiterlesen:
Stelzig, M. (2017). Warum wir vertrauen können: Die psychische Grundstruktur des Menschen. Benevento Publishing: Wals bei Salzburg.